IM HIMMEL GEIRRT


Ausstellung Galerie Anne Blanc, Paris 1992



Gehen wir aus von den Titeln einiger der neueren Arbeiten auf Papier von Harald Wolff: A festgehalten von B, Das große C kommt nicht, Ansprache unter dem Wort, Innere Einkehr im Zimmer, Brook schifft sein ganzes Kloster ein, Kreissäge für den Süden, Im Himmel geirrt, In den Sportvereinen Wiedersehen mit Zeitverlust — scheinbar allesamt Verweise, die die beruhigende Banalität des Alltäglichen evozieren, die Ordnung, die Einfachheit des Gegenwärtigen. Schon will man als Dargestelltes bewundern, was man ganz natürlich um sich herum erblickt, was den Stoff des Lebens ausmacht, wovon man weiß, daß es überall auf der Oberfläche dieser Erde existiert, die so klein geworden ist, so bequem zu erforschen, daß sie bald keine Überraschungen und Geheimnisse mehr bietet. Aber dann! Irgendetwas gibt einem ein Zeichen, stört einen, hält einen fest. Was das Denken anfangs leichthin freigelegt hatte von seinen Absichten, wird unversehens zweifelhaft. Der erste Augenschein löst sich auf, dem Blick wird Angst. Der Überlagerung des Bildes über die Worte setzt nach und nach eine Widersprüchlichkeit ein, die wanken macht und den Tintengeruch einer Welt ausbreitet, die widersteht, sich entzieht.Diese inszenierten Figuren — oder besser diese Beine, Büsten, Köpfe — in diesen offen-geschlossenen Räumen; diese ganz gewöhnlichen Situationen — oder besser diese Ansammlungen von Zeichen, Hinweisen, Dingen — lassen die beunruhigende Vorstellung aufkommen, daß der Mensch, wenn er hinter die Darstellung dringen und die Gegenwärtigkeit bewohnen, ihre Form und Materie, ihren Ursprung und Sinn teilen wollte, zum Eindringling wird. Ich glaube vor mir jene Welt zu sehen, wo ich in Frieden ausruhen, meditieren, mein Erstaunen verbreiten kann, und wirklich rufen mich die Worte auf, zitieren die Ideen mich herbei, aber was ich auch tue, ich erkenne mich nicht mehr in dem pikturalen und graphischen Spiegel, wo ich vergeblich der Schönheit nachjage. Ich bin zurückgeworfen von Lücken auf Fetzen.Grimassenhafte Ironie: der Traum läßt zu wünschen übrig. Dies nämlich ist die Lektion Harald Wolffs: keine Vollkommenheit der Form, keinen lyrischen Aufschwung (kaum einige wenige Farben), keine Harmonie des Strichs. Vielmehr die Askese eines Schwunges, der angehalten, eingeschlossen ist in seine vielfachen Fragmente und dessen Wesen es ist, das Unvereinbare zusammenzubringen: Wort und Bewegung, weiß und schwarz, den Menschen und das Göttliche.,,Heute“, schreibt Paulus an die Korinther, ,,sehen wir in einen Spiegel, als Rätsel, aber dann wird es von Angesicht zu Angesicht sein.“ Im Geblendetsein der Wahrheit - die Beschneidung des Seins. Denn wohin dringt mit ihrem flüchtigen Schritt die Illusion, wenn nicht in den Ring der Leere, den kreisrunden Schlund, in das grenzenlose Unvollendete, an der innersten und vielleicht vom Gott befohlenen Grenze, die uns durchquert und uns von uns selber trennt



Michel Mathieu
Übersetzung: Prof. Dr.Gert Pinkernell
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