Das erzählerische Moment in der zeitgenössischen Malerei wird selten gesucht und entsprechend selten gefunden. Große Bilder mit großen monochromen Farbflächen, mit großen Buchstaben, mit großen Zahlen sind angesagt, als unverbindliche Dekorationsstücke für Firmen und Verwaltungen, für Banken und politische Institutionen - nur nichts erzählen, sich nicht festlegen scheint das Motto für unsere Künstler geworden zu sein. Die figurative gegenstandsbezogene Malerei ist ein sehr kleiner Teil des Kunstbetriebs geworden, gering, aber unverwechselbar, persönlich und den Betrachter verpflichtend. Harald Wolff erzählt. Er malt Szenen und Figuren in Momentaufnahmen, in Abläufen von Zeit und Raum. Seine Erzählungen haben die Anmutung schöner Träume, oft auch harmonischer Idyllen, aber auch kritischer Appelle. Alles ergänzt er darüber hinaus mit einer gelungenen Wahl satirischer Titel, so dass das Gesamtkunstwerk wie eine selbstironische Schilderung wirkt. Wie kommt er dahin? Es ist sicher so, dass die Malfläche zunächst mit zufälligen abstrakten Farbverläufen bedeckt wird. Und es ist sicher weiter so, dass Harald Wolff aus diesen Farbnuancen hinaus Figuren erarbeitet, die zu kleinen Geschichten sich vereinen. Sein immenses zeichnerisches Talent kommt ihm dabei zu Gute, ein Talent, das in der heutigen Kunstszene immer seltener vorgefunden wird.Es ist davon auszugehen, dass das Unbewusste sein Auge und seinen Duktus steuert. Mit Claude Lévi-Strauss, dem französischen EthnoSoziologen, will ich zunächst festhalten, dass das Unbewusste den gemeinsamen und spezifischen Charakter der sozialen Gegebenheiten schafft. Es ist verantwortlich für das symbolische Denken, es ist eine Kategorie des kollektiven Denkens. Ich will sogar so weit gehen, in dem Bild "Sonderfahrt" einen modernen Mythos dargestellt zu sehen. Claude Lévi-Strauss sagt: "Nicht die Menschen denken in Mythen, sondern die Mythen denken sich in den Menschen ohne deren Wissen". Das Vokabular des Harald Wolff schafft in seiner Vielfalt der Kombinationen eine Struktur oder besser gesagt, eine strukturelle Determination. Das magische Denken innerhalb einer systemhaften Erscheinungswelt ist "nicht ein erster Versuch, ein Anfang, eine Skizze, der Teil eines noch nicht verwirklichten Ganzen." Das fast abstrakte Bild "Delicious Agency" ist trotz Skizzenhaftigkeit für mich eine überaus spannungsvolle Komposition aus Statik und Balance, aus Angriff und Verteidigung, aus Erstürmen und Zurückweichen. Das quadratische Geviert des Bildes zeigt uns so einen Mythos von Gleichgewicht und Kontinuität. Dabei wollen wir vernachlässigen, dass der Titel "Delicious Agency" uns irritieren könnte; immerhin schafft er eine ironische Distanz im Sinne brechtscher Verfremdung. Man sollte es mir nachsehen, dass ich bei einem Wahlpariser, der Harald Wolff schon seit 1980 ist, einen französischen intellektuellen Hintergrund suche und finde. Ein anderer Zeitzeuge neben Claude Lévi-Strauss ist für mich Henri Bergson, der Philosoph und Literat. Henri Bergson hat schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts seinen Begriff des "Elan vitale" propagiert, wobei noch früher sein Buch über Materie und Gedächtnis erschienen ist. Dieser "Philosoph der Wissenschaften" lehnte rationale und analytische Vorgehensweisen ab, verstand unter Zeit eine "fragmentierte Zeit". Im Bild "Im Himmel geirrt" entfalten sich Körper und Geist in einen Zustand des Schwebens und zugleich Fliehens. Die Bewegung und die Beweglichkeit entfalten überraschende Explosivität in einem "fragmentierten" Umfeld. Sicher ist eine feste Komposition in Form eines diagonalen Kreuzes ein scheinbarer Zusammenhalt für die Figuren; der Henri Bergson Begriff des "Elan vitale" scheint hier eine verblüffende Apotheose gefunden zu haben. Bergson hat einmal gesagt, dass jeder, der wahrhaft Philosoph sei, in seinem ganzen Leben einen einzigen Gedanken verfolge - den er stets erneut zu formulieren suche. Dieser Gedanke, die Zeit angemessen zu denken, zieht sich durch viele Bilder des Harald Wolff.Harald Wolff erzählt Geschichten, die innerhalb von Zeit und Raum Empfindungen und Aktionen darstellen. Die Bilder, die aus Assoziationen des Künstlers entstanden sind, sind offen für Assoziationen des Betrachters. Die Bedeutsamkeit des Geschauten liegt dabei meist in der Erinnerung einstiger Erfahrungen, das Wahrgenommene hat seine Entsprechung im Unterbewussten. Dabei bleiben kritische zeitgeschichtliche Anmerkungen nicht außen vor. Das dramatische Bild "Ärger mit dem Vaterland" zeigt eine Konfrontation, wie wir sie aus historischen Schlachtenbildern oder zeitgenössischen Judokämpfen kennen. Sollte der Titel eine Art Bürgerkrieg andeuten, ist diese Interpretation sicher erlaubt, wobei meines Erachtens Frankreich diesem Phänomen näher ist als Deutschland. Die geradezu tangohafte Figuration hat nichts sehr Ernsthaftes an sich, und mit der Verschmelzung der beiden Gegner sogar eine yin-yang-hafte Ausdeutung von der Zusammengehörigkeit aller Dinge. Auch historische Momente haben ihren Platz im Werk des Malers: "Beton B(e)richt" als Improvisation zum Fall der Berliner Mauer ist ein Diptychon, das zwar formal in seiner Zweiteilung auf Machtblöcke verweist, das aber in der malerischen dynamischen Auflösung von Figur und Grund von der überraschenden Wiedervereinigung auf den Trümmern der Blöcke erzählt. Diese dramatische Auflösung eines Konfliktes ist gewiss einer der Höhepunkte im Schaffen des Berliner Künstlers, der die Deutsche Teilung hautnah erlebt hat.Die erzählende Montage bei Harald Wolff ist zwar ein Zusammenfügen disparater Teile, entwickelt sich aber in Richtung einer Auflösung der Handlungen. Die Welt ist bei Harald Wolff ein Geflecht von Möglichkeiten, und seine Bilder widerspiegeln diesen Charakter der Welt. Die "Spinnradliebe" wirkt mit ziemlich hartem Duktus zunächst recht einschüchternd. Bei näherer Betrachtung wandert der Blick über einen grünen Streifen in der Horizontale, ebenso über einen blauen Streifen; die dadurch miteinander verbundenen beiden Figuren halten sich und schweben zugleich, das Spinnrad wirkt wie ein Antrieb, ein kleines rotes Kreuz in der Bildmitte setzt einen dramatischen Schlussakkord, der zugleich ein meditativer Mittelpunkt ist. Der großzügige selbstsichere unkorrigierte Pinselduktus des Grün, Blau und Weiß sowie die dramatische Anatomie eines rechten Armes bestätigen die Meisterschaft des Harald Wolff. Seine Handschrift innerhalb dieser gestischen Abstraktion ist unverwechselbar, ebenso wie die Originalität seiner Erzählungen.
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